EDEL SEI DER MENSCH, (HILF)REICH UND (VERDIENT) GUT
oder
GELD REGIERT DIE WELT

von Christoph Glogger (dodos)
 

Geld regiert die Welt:
Werte, Weihnachten und Rendite
Geld ist die Grundlage unseres Leben geworden. Trotzdem spricht man nicht so gerne darüber. Obwohl, die Aktien sind auch in Deutschland schwer im Kommen und eine Rendite von 5 % auf irgendwelche ollen Rentenpapiere ist nun auch an deutschen Stammtischen nicht mehr die Hit-Nummer. Die Frage, was das Geld eigentlich ist und noch mehr, was es in unserer Marktwirtschaft bedeutet, ist freilich eine weitgefaßte Frage, die nicht so ganz schnell zu beantworten ist.Aber es gibt ein paar einfache Wahrheiten, die wir uns in Erinnerung rufen können. Und es gibt ein paar Entwicklungen, die wir mal bedenken können.
Zur Adventszeit wird ja gerne der Weihnachtsrummel und der damit einhergehende Kaufrausch zum Anlaß genommen, die Pervertierung der frohen Botschaft zum Weihnachts-Konsum-Terror zu beklagen. Oder wer wäre nicht schon einmal von einer Reise aus einem entlegeneren Teil der Erde zurückgekehrt und hätte wahrnehmen können, wie sehr in Deutschland schon der Kommerz, der Hochglanz und die Oberflächlichkeit das Leben prägt. All das ist wahr und doch wird niemand mehr ernsthaft hinter das marktwirtschaftliche Prinzip zurückkehren wollen, das doch das geld zur Grundlage und den freien Markt der Werbung, des oberflächlichen Geglitzers und des Fast-Foods mit sich bringt. Sozialistische Ideen sterbern zwar so schnell nicht aus, aber sie taugen eher etwas dafür, denkbare bessere Zeiten anzumahnen als konkrete Lösungswege aufzuzeigen. Jede staatliche Planung als direkte Steuerung oder Verteilung hat sich wohl endgültig aus dem Rennen geschossen. Trotzdem stellt sich natürlich immer wieder die Frage, ob denn der Geld-Wert der Haupt-Wert in unserer Gesellschaft ist und bleiben wird.
Geld ist ein totes Medium und es ist umso erstaunlicher, daß es zunehmend das Hauptmedium wird, um Werte auszudrücken. Das ist das eingentliche Problem, daß eine der grundlegenden soziokulturellen Leistungen des Menschen, das Bewerten von Dingen, dem freien Markt und dem Geldwert überlassen wird. Wert allein ist eben ein bißchen zu schwammig und zu subjektiv für eine rationelle, von wissenschaft geprägte Welt. Könnte man meinen. Ist aber natürlich völliger Stumpfsinn. Gerade in der Diskussion um den share-holder value zeigt sich, daß menschenfreundliche, ideenreiche und integrative Lösungen in einem Wirtschaftsunternehmen selten zu einer Steigerung des Aktienwertes führen. Im Gegenteil. Die Finanzwelt hat ihre eigenen Regeln und die sind nüchtern und menschenleer. Das muß man sich klar machen. Der Markt zeigt immer den Druchschnittswert in monetärer Größe, er berücksichtigt nie den Einzelnen und schon gar nicht die Subkulturen, sondern er begünstigt immer die Masse, die einfache Lösung, den oberflächlichen Reiz. Natürlich nie gegen den Willen der Menschen. Er sucht sich den massenhaften, einfachen, oberflächlichen Weg, den die Menschen gerade noch mitmachen. Je mehr unser Leben von Geld gepägt wird, desto mehr nähern wir uns der Mittelmäßigkeit, der massenhaften Seichtheit, dem gerade noch konsensfähigen Schwachsinn an.
Es gibt aber durchaus die Möglichkeit des Wiederstandes. Die Macht des Geldes ist keine Schreckensherrschaft und keine Mediendiktatur. Es gibt einen gewissen Spielraum für Abweichler und Subkulturen, es gibt auch Möglichkeiten, den entmenschlichten Strukturen etwas entgegen zu setzen und es geschieht überall. Aber es ist, wie so oft, komplex und nicht einfach zu fassen. Freundschaft ist einer der Gegenbegriffe zum Kommerz. Wenn Geld der Inhalt einer Beziehung ist, dann findet Nähe und Freundlichkeit immer nur in einem nötigen Maße statt und sie endet schlagartig, wenn sie sich nicht mehr lohnt. Das erleben wir, je älter wir werden, desto öfter, und wir erkennen das gegenteil als ein zweckfreies, vertrautes Miteinander; ein Näheerlebnis ohne Geldaspekt, das wir Freundschaft nennen. Es hat einen gewissen Sinn, wenn wir in unseren Gruppen Freundschaft und Zusammengehörigkeit ohne jedes Wenn und Aber über Fragen des Geldes und des Kaufens stellen. Jeder teilt. Wir kaufen gemeinsam. Wir brauchen nicht viel. denn damit setzen wir klare Prioritäten und machen das erfahrbar, was Menschen zu einem guten Leben brauchen: es gibt noch mehr und noch viel wichtigere Werte als diejenigen, die mit Geld ausdrückbar sind. Und das ist keine Banalität, sondern eine konkrete befreiende Erfahrung. Vergeßt die Plastik-Weihnachtsmänner, es hat keinen Sinn gegen den Kommerz im Alltag zu wettern, ohne das Geld abzuschaffen. Aber machen wir es erlebbar, daß es noch Besseres gibt als das, was es zu kaufen gibt.
Und dann ist da noch eine Möglichkeit, dem Sog des Geldes zu entgehen: das Schenken. Freundschaft und Vertrauen wird geschenkt und das Schenken von geldwerten Dingen und auch von Geld für gute Zwecke ist ein Gegengewicht zum toten Mehrwert. Es kann mitunter an Ablaß erinnern und es mag häufig genug nur zur Erleichterung des Gewissens dienen. Aber das Schenken ist unerläßlich im Kapitalismus. Ohne das Schenken und auch ohne das Spenden bricht der Kapitalismus zusammen. Die Reichen müssen Ärmsten ab und an die Schulden erlassen und die Wohlhabenden müssen den Armen einen Teil abgeben. Soviel Gerechtigkeit kann ein Markt nicht produzieren und kann keine Regierung erlassen, daß diese Solidarität entbehrlich wird. Das müssen wir uns klar machen, wenn wir für die Marktwirtschaft sind.
Die Frage, wieviel für was zu spenden sinnvoll ist, das ist eine ganz andere Frage. Auch hier können wir uns antizyklisch verhalten und uns gut informieren, statt auf die Medien zu hören. Aber das ist leicht möglich und kann im Kreis von Freunden gut gemeinsam organisiert werden.

Geld zerstört die Natur:
Eigentum, Wachstum, Naturverbrauch
Die Grundlage des Geldes – und nun werde ich ein wenig grundsätzlicher, ja: wissenschaftlicher – die Grundlage des Geldes ist das Eigentum. Die Kapitalbildung, die auf Eigentum beruht führt in der Tat zu einer Eigendynamik, die eine gewisse notwendige Entwicklung zur Ausbeutung mit sich bringt. Das haben Hegel und Marx nicht schlecht beschrieben, allerdings ist die Frage einen Tick vielschichtiger und auch anders mit dem freien Willen der Menschen verknüpft als die beiden sich das vorgestellt haben. Denn der Mensch ist gegenüber der Selbstorganisation des Marktes machtlos. Nicht, weil er Eigentum verbieten oder den Markt selbst beherrschen könnte, wie es der Sozialismus versucht hat, sondern weil der Markt viel besser im koordinieren ist als jede menschliche Steuerung. Was Marx und Hegel noch nicht kannten, ist die chaotische Selbstregulation komplexer Systeme, sogenannter Netzwerke. Weil Netzwerke besser funktionieren, wenn sie kein Steuerzentrum haben, ist der Sozialismus dem Kapitalismus unterlegen. Trotzdem hat der Kapitalismus einen entscheidenden Nachteil. Er stützt sich nämlich theoretisch immer noch auf Hegel, in dem er behauptet, ein marktwirtschaftlich orientiertes System würde aus einer inneren Logim heraus, das Bessere begünstigen und hervorbringen. Das ist der Kern des dialektischen Denkens, das den Glauben an den Fortschitt begründet. Marktwirtschaftlich heißt das Wachstum. Das Wirtschaftswachstum ist nicht ein Anhaltspunkt, wie gut sich das System gerade selbst organsisiert, ob es krankt oder blüht (welch blumige Worte für einen toten materiellen Prozess). Das Wirtschaftswachstum ist auch der Garant dafür, daß es allen insgesamt immer besser geht. Das ist sowohl in der Wirtschaftspolitik als auch in der Entwicklungspolitik die weiterhin vorherrschende These, auch wenn es langsame Kurskorrekturen gibt.
Diese Hypothese hat zwei grundsätzliche Haken. Sie setzt voraus, daß der Markt alle Bedingungen seiner selbst ständig mitreflektiert, was systematisch unlogisch ist. Und sie geht davon aus, daß das Wissen der Menschheit über das eigene Wohlergehen durch einen ständigen Kommunikationsprozeß vollständig darin einfließt. Beides ist wünschenswert, entspringt aber einen bloßen Wunsch. Das Wirtschaftssystem kann seine eigenen Bedingungen nicht reflektieren. Das kann kein System, wie Mathematiker Anfang dieses Jahrhunderts gezeigt haben. Es gibt in jedem System für das System unentscheidbare Fragen. Im Falle der Wirtschaft ist das etwa die Frage, welche Recourssen in das Preissystem eingebaut werden, welche Kosten sich also im Wertschöpfungsprozeß widerspiegeln. Dazu gehörte lange Zeit weder das Rohmaterial in Form von natürlichen Recourssen und auch nicht der Wert einer sauberen Umwelt. Dazu gehörte nicht das soziale Umfeld der Menschen und nicht der Wert von Arbeit im Gegensatz zu Arbeitslosigkeit. Sazu gehörte lange Zeit auch nicht die Endlichkeit der Energie. Ein großer Teil des im letzten Jahrhundert realisierten Wachstums ist auf die billige Verfügbarkeit von Energie zurück zu führen. Das ist so grundlegend, daß die Vorstellung, Energie könnte ausgehen oder auch nur etwas teurer werden, mit völlig irrationalen Reaktionen quittiert wird. Das sah man nicht nur in den Reaktionen auf frühe Umweltschützer in den 70ern, sondern auch in der Bezindiskussion heute. Es gibt – so titelte die Zeit – kein Recht auf billige Energie. Im Gegenteil. Es gibt die sichere Wahrheit, daß die fossilen Brennstoffe ebenso wie die natürlichen Ressourcen irgendwann zu Ende gehen, auch wenn die Meinungen darüber, wann das sein wird, leicht auseinander gehen. Aber was sind, bei einer so grundsätzlichen Krise des Kapitalismus 50 Jahre? Wieviel Müll hält unsere Erde aus, wieviel Verstrahlung die Menschheit, wieviel soziale Ungerechtigkeit, bevor es Aufstände gibt? Wie groß können Hungersnöt werden, bevor das System ins Wanken gerät? Diese Fragen sind nicht Teil des monetären Systems und sie müssen von außen eingespeist werden Das ist Aufgabe der Politik und sie tut es auch, wenn auch relativ zaghaft. Bislang sind noch alle Bemühungen, seien sie ökologischer oder sozialer Natur, durch die negativen Folgen des Mehr an Wachstum aufgebraucht worden. In der Gesamtsumme verschlimmern wir also immer noch unsere globale Situation.
Das liegt ein bißchen an der Grundeigenschaft des Geldes. Geld ist ein neutraler Tauschwert, der das Handeln einfacher macht. Im Zeitalter des virtuellen Geldes wird diese Eigenschaft noch verstärkt. Immer mehr wird immer schneller gehandelt, auf dem ganzen Globus, mit ständig überall vergleichbaren Preisen. Dabei gilt jede nationale oder regionale Eigenheit erst mal als Hemmfaktor, der abgeschafft werden muß. Das Geld ist so neutral, daß es in der globalisierten Welt einen Drang dazu entwickelt, Unterschiede, also Handelsbarrieren zu neutralisieren. Das ist in vielen Studien gezeigt worden und jeder kann es erleben.
Aber das Geld hat auch die Aufbewahrungs-Funktion. Das Geld ist in drei Jahren noch genauso gut erhalten, wie vorher. Es schimmelt nicht und es verdirbt nicht. Deshalb kann man darauf wetten. Man kann es verleihen und man kann auf zukünftige Gewinne Anleihen machen. Das ist ein seltsamer Prozeß. Weil der Wert des Geldes garantiert ist, kann ich mit einem zukünftigen Gewinn schon heute rechnen und das entsprechende Geld ausgeben. Schulden machen. Wenn nur alle daran glauben, daß das Geld irgendwann da ist. Und so wird immer fort immer öfter, immer mehr zukünftig eingehendes Geld eingesetzt und sogar verliehen, womit das Geld dann wieder in Umlauf und auf die Zukunft versetzt wird. Das ganze Geldsystem ist ein imaginäres Wetten auf die Zukunft. Deshalb ist die Börse so geheimnisvoll und so erfolgreich. Sie organisiert den Markt der Zukunftswetten. Keine staatlich organisierte Zukunftswette (sprich: Rentenpapier) kann da mithalten. Es ist wie bei Marktwirtschaft gegen Planwirtschaft: die Börse ist der Markt des Marktes, hier potenziert sich die Kraft des Geldes. An den internationalen Börsen wird weit mehr Geld bewegt und gehandelt, als es materielle gegenwerte auf der Welt gibt. Spezialisten gehen davon aus, daß nur zwei Prozent der Geldwerte, die notiert sind, als tatsächliche Produktion oder Wirtschaftskraft in real life existent sind. Daher auch die Angst vor dem Crash. Das geht nur, so lange alle weiterhin auf die Zukunft wetten. Wenn alle den Glauben verlieren, kann der Dow-Jones theoretisch über 90% seines Wertes verlieren, weil erst dann irgendwann der wirklich materielle Gegenwert seinen Kursfall stoppt. Praktisch wird das wohl nicht geschehen, weil die Welt der Börsen und der Geldwirtschaft komplizierter organisiert sind und bestimmte Probleme abfangen. Aber dieses Faktum zeigt, wie abstrakt die Logik des Geldes ist. Und wie weit sich das Geld vom realen Gegenwert entfernt, nur weil eben nicht nur Tauschwert ist, sondern auch eine Aufbewahrungsfunktion hat. Deshalb ist die Höhe der Zinsen so wichtig für dieses System, weil es den Rahmen für das Wetten auf die Zukunft steckt. Aber immer mehr Spezialisten sagen auch, daß der Zusammenhang von wissenschaftlichen Zukunftsaussichten und Börsenwerten sich zunehmend entkoppelt. Bei einem Versuch des Max-Planck-Instituts haben Aktienfonds, die nach Umfragen auf Fußgängerzonen zusammengestellt wurden, nach sehcs monaten mehrheitlich besser abgeschnitten als der Dow Jones und der Dax und ebenfalls besser als die meisten professionellen Aktienfonds. Offensichtlich ist Wissen an der Börse nicht immer hilfreich.
Trotzdem wird sehr sehr viel durch das Geld bewegt. Und die Auswirkungen sind enorm. Für die armen Länder, für die Umwelt, für unsere Zukunftsfähigkeit. Es ist, wie schon im ersten Kapitel angedeutet, eine Frage der Gewichtung. Wir können nur ausbrechen aus diesem System, wenn wir ganz bestimmte Dinge höher bewerten als den reinen Geldwert. Wir dürfen nur Produkte kaufen , die bestimmten ökologischen und ethischen Standards entsprechen, egal wie teuer sie sind. Wir dürfen unser Geld nur denjenigen geben, die damit nicht die Umwelt zerstören und keine Kinder und Familien in fernen Ländern ausbeuten, egal wie wenig Rendite diese Fonds oder Aktien bringen. Wir dürfen nur Gesetzen zustimmen, die den Markt dazu zwingen, ökologische und soziale Grundbedingungen in den Preisen mit ein zu rechnen. Deshalb ist die Öko-Steuer grundsätzlich nötig, deshalb ist es wichtig, daß Hersteller ausgediente Produkte wieder zurücknehmen müssen (z.B. Autos), deshalb ist es auch wichtig, die Hersteller zu zwingen, bestimmte Information über ökologische oder soziale Folgen ihrer Produkte oder sämtliche Inhaltsstoffe inkl. Genmanipulation nach klaren Fegeln auf den Produkten zu verzeichnen. Von selbst wird kein Marktteilnehmer und kein Marktsystem etwas tun, was den freien Handel einschränkt. Von selbst wird kein externe Kosten wie Umweltverschmutzung oder Arbeitslosigkeit in den Wertschöpfungsprozeß und damit in den Marktpreis integrieren. Alle Nachteile werden immer der Natur, der Allgemeinheit (siehe Unfälle) oder fernen Gesellschaften, die sich nicht wehren können, aufgedrückt. Oder natürlich der Zukunft, z.B. beim Anhäufen von Schulden. Rein rechnerisch arbeitet jeder Deutsche bereits sechs Wochen im Jahr für die Tilgung unserer Schuldenzinsen (privat und staatlich). Sechs Wochen, die wir früher einmal schon auf Kosten der Zukunft (und die ist jetzt) ausgegeben haben. Und wieviel werden unsere Kinder nur dafür arbeiten, sauberes Wasser und saubere Luft zum Leben zu haben, nur weil wir diese Kosten heute extrenalisieren – und sie in Zukunft viel Geld dafür ausgeben müssen. Wir müssen – unbedingt – schon heute faire Preise bezahlen und nur in faire Aktien investieren. Sonst wird sich die Logik des Geldes durchsetzen. Und das ist die Logik des Wachstums und der Externalisierung von Folgen. Nicht nur haben, sondern auch sein, wie Ernst Bloch gesagt hätte. Nicht nur aufs Geld schauen, sondern zuerst auf die Folgen. Wir müssen das Geld nicht abschaffen, aber wir müssen dem Geld Regeln geben, innerhalb dessen es unser Leben organisieren darf.

Geld fressen Seele auf:
Kommerz, Kultur, Access
Die Wachstumsdiskussion ist eine Diskussion der letzten zwanzig Jahre. Auch wenn wir noch lange nicht nachhaltig leben, also so, daß wir alle Folgekosten und nötigen Werte internalisieren, so gibt es doch auf allen Ebenen zumindest der Politik Diskussionen dieser Notwendigkeiten. Aber damit ist die Entwicklung nicht zu Ende. Es gibt namhafte Forscher und Denker, die uns davor warnen, daß alles noch viel schlimmer kommen könnte und das Geld noch gar nicht so weit in unser Leben vorgedrungen ist, wie das vielleicht bald der Fall sein könnte. Sicherlich sind wir schon heute vielmehr auf Konsum und Kommerz eingerichtet als noch vor zwanzig, ganz sicher vor hundert Jahren. Aber wir haben doch noch eine eigene Kultur, einen Freiraum, in dem wir uns freundschaftlich, nachbarschaftlich, ehrenamtlich und vielleicht auch künstlerisch, jedenfalls kreativ organisieren und verhalten. Gerade für bündische Gruppen gilt das in extremen Maße, nicht umsonst spricht man deshalb ja von Subkulturen. Diese individuelle, in Gruppen gelebte spezielle Lebenswelt, nennt man Kultur. Bei Jugendgruppen mitunter bis hin zu eigenen Sprachgewohnheiten und Verhaltensformen, die andere von außen gar nicht kennen. Aber diese Eigenheiten, die wir Kultur nennen, nehmen ab. Zunehmend werden Erlebnisse, Beziehungen, Kommunikation, wird alle Einzelteile des Lebens kommerzialisiert. Der Kindergebirtstag bei Mc Donalds, das Musical als Kaffeefahrt, die Kommunikation über Internet oder Händy – kaum ein Freizeitbereich ist nicht mehr von kommerziellen Elementen durchsetzt. Und spätestens bei den Center-Parks und Club Meds wird deutlich, wie ein ganzer Urlaub mit allen kulinarischen, sportlichen, kulturellen Erlebnissen als Produkt mit Preis und als fertiges Einzelprodukt angeboten wird, wofür ich mir nur noch den Zugang kaufe und dann alles mundgerecht aufgetischt bekomme. Das ist echte kommerzielle Entmündigung oder anders betrachtet ist es schlicht die Entwicklung von selbstbestimmten eigentum-gestützten Erlebniswelt zum kommerzialisierten Access-gestützten Konsumwelt. Denn was damit einher geht ist, daß die reale Welt, so wie sie ist, nicht mehr so recht zählt. Sie zählt noch nicht einmal mahr als Material, als Eigentum. Immer weniger Menschen, immer weniger Firmen kaufen sich Eigentum als Zukunftsinvestition. Immer weniger riesenhafte Super-Konzerne besitzen immer mehr, was sie in wohlproportionierten Kommerz-Kuchenstückchen an alle verleasen, vermieten und als Abbonnement zugänglich machen, die es gerade brauchen. Der flexible, unabhängige, vernetzte Mensch braucht kein eigenes Haus, keine Wanderausrüstung, kein Werkzeug, keine Bücher. Er verschafft sich Zugang dazu, wenn er es braucht. Schon haben die ersten Firmen keine Abteilungen mehr, keine Schreibtische und keine Arbeitsplatzbeschreibungen. Jeder Mitarbeitende hat einen Zugang zum Firmennetz, zur Aufenthaltsdatenbank und zu seinem Projekt-Manager, der ihm die Arbeit zuteilt. Warum braucht der Mensch eigentlich einen Wohnsitz, einen Freundeskreis, irgendwelche Gewohnheiten? Er kann sich überall alles besorgen, was er gerade braucht und wo er es gerade braucht. Er stellt sich seine Kurzzeit-Wohnung zusammen, klickt sich in eine Interessensgruppe für Mittwoch-Abend zum Gespräch mit Rotwein ein und verschafft sich Zugang zu ein paar kulturellen Events, die seinen Neigungen entsprechen. Alles hat seinen Preis, alles ist immer fertig organisiert, alles ist völlig unverbindlich und jederzeit verfügbar.
Natürlich überträgt sich das auch auf den Menschen. Er verkauft sich und seine Arbeitszeit, muß selbst Zugänge verkaufen, um im Rennen zu bleiben, er muß immer schon fertig organisiertsein,unverbindlich und jederzeit verfügbar. Vielleicht muß man nicht so weit gehen, aber: es verschwindet in einem solchen  Zukunftsmodell natürlich in der Tat das, was wir gemeinhin das kulturelle Umfeld genannt haben. Das Selbstgemachte, gar Handwerkliche, das Kreative, gar Künstlerische, das Persönliche, gar Freundschaftliche kann dabei recht schnell in Vergessenheit geraten, unnötig werden, ja: unmöglich. Darin liegt das Fatale, dieser Entwicklung: sie ist nicht wirklich unangenehm, nicht brutal, sie ist nur ein bißchen unumkehrbar. Der Mensch gewöhnt sich zu schnell an ein zu leichtes Leben und wird abhängig vom Geld, das ihm die Zugänge erst verschafft. Je kommerzialisierter unser Leben wird, desto mehr hängt unser Leben, aber auch der Bestand des gesamten Systems von der Vermarktung dieses Lebens ab. Wir müssen selbst, um Geld zu verdienen, der Kommerzialisierung dienen und anderen Menschen Zugänge zu Erlebnissen und angenehmen Lebenszeiten verkaufen.
Andereseits wird das, was wir Kultur nennen, im Wertschöpfungsprozess an bedeutung gewinnen. Die Heerscharen an kreativen Agenturen und motivierenden Beratern werden stetig steigen. Denn die Produktion selbst wird von immer weniger Menschen immer einfacher gewährleistet werden. Und das entsprechende Know-How wird zunehmend immer und überall in erschlagender Fülle medial verfügbar sein. Deshalb aber muß es immer mehr Menschen geben, die diese Informationen auswerten, gewichten, Ideen entwickeln, Abläufe koordinieren und Strategien entsickeln. Und das alles heißt letztlich: Bewertungen vornehmen und Entscheidungen treffen. Zwar kauft jeder immer mehr Wert und mehr Entscheidung bei anderen ein; aber immer mehr Menschen verkaufen auch ihre Bewertung und ihre Entscheidungsfähigkeit – sicherlich spezialisiert. Bewertung und Entscheidung aber sind kulturelle Fähigkeiten. Sie wachsen in kreativen, erlebnisstarken und persönlichen Umfeldern. Im Prinzip – und das ist der Witz an dieser Entwicklung – braucht die Wirtschaft immer mehr selbständig denkende, kreative und wertstabile Menschen, um immer mehr Dinge zu produzieren, die die Menschen zu passiven, angepaßten und flexiblen Opportunisten macht.
Auch wenn diese Darstellung überspitzt dargestellt ist, so macht sie doch noch einmal neu, den Zusammenhang von Geld und Kultur klar. In der vernetzten flexiblen Welt werden kulturelle Fähigkeiten immer wichtiger werden, obgleich das monetäre System diese Fähigkeiten bislang nicht belohnt hat. Genau genommen müßte Kindern heute ganz gezielt Erlebnis-Räume zur Verfügung gestellt werden, die ihnen unmittelbares Erleben, Teamfähigkeit und Kreativität erlernbar machen – also am besten Gruppen, die in der Natur, in ungewohnten Umgebungen, bei fremden Kulturen, durch handwerkliche und künstlerische Fertigkeiten zu selbstbewußten und entscheidungsfähigen Menschen heranwachsen. Eine bessere Ausbildung für das Leben wird es nicht geben. Um in Zukunft viel Geld zu verdienen wird man sich der bloßen Zugangsgesellschaft, die alles Leben nur noch in geldwerte Erlebnis-Kuchenstücke zerteilt, widersetzen müssen. Erfolgreiche Menschen müssen leben, ohne Geld glücklich zu sein.
Edel sei der Mensch, (hilf)reich und (verdiene) gut.
 


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